Foto:©Elisabeth Anton
„Warum alle? Was ist Vaterland?“
Im Garten, unter dem alten Nussbaum
Sitzt sie auf ihrem uralten Stuhl
Noch aus Urgroßmutters Zeiten
Stopft vor sich hin, gedankenverloren
An den alten Socken
Die noch gut sind für die Gartenarbeit
In ihren Augen Tränen
In ihren Händen ein zerknittertes Foto
Das sie immer bei sich trägt
Wohin auch immer die Zeit sie schickt
Ob am Holzofen lehnend
Ob im Hof, Garten oder beim Brotbacken
Sie trägt es immer mit sich
Das alte Foto
Streichelt das vergilbte Bild
Drückt es fest an ihre Wange, ihr Herz
Betet ein Vaterunser, weint ihre leisen Tränen
Fragt sich immer wieder
„Warum? Warum alle? Was ist Vaterland?“
Und schaut auf ihr geliebtes Foto
Von fünf Personen, aus glücklichen Zeiten
Lebt nur noch sie, in Leid und Schmerz
Ihr ganzes Leben lang
Weil der Krieg ihr alles genommen
Was in ihrem Leben heilig, ihr Leben war
Ihre drei Söhne und ihren Mann
Zu viert mussten sie an die Front
Ihr Schicksal von Kugeln gestoppt
Und nun ruhen sie, verteilt auf diesem Erdball
Weit weg von ihr, in fremder Erde
Fern der Heimat, ihrem Herzen
Gefallen fürs Vaterland
„Warum alle? Warum? Was ist Vaterland?“
©Elisabeth Anton, Speyer / Hatzfeld
03.11.2020